In der vergangenen Woche kam eine langjährig bekannte Patientin in meine Praxis. Sie liebt ihre Kinder über alles, ist leider vor einigen Jahren verwittwet. Ihr Mann starb an Gonadenkrebs. Ihre beiden Mädchen bekommen alles, was deren Herz begehrt. Wünsche sind erfüllt, bevor sie überhaupt ausgesprochen sind. Die Mädchen inzwischen 16 und 17 Jahre alt sind immer hübsch angezogen und brav. Zumindest waren sie es noch bis vor einem halben Jahr. Als letzte Woche die Mutter mit ihrer jüngsten Tochter in meine Praxis kommt, bin ich erschüttert. Vernachlässigtes Äußeres, ungewaschene Kleidung und fettige Haare. Was war passiert?
Die Mutter hatte ihren Job verloren, bekam in den ersten drei Monaten kein Arbeitslosengeld, verlor ihre Wohnung, beide Mädchen mussten nach der Schule arbeiten gehen, damit es genug Geld zum Essen gab. Nun kam die Mutter, weil es ihr psychisch nicht gut ging und die Kinder in der Schule schlechter wurden. Bei der grossen Tochter war das Abitur in Gefahr. Alkohol spielte wohl auch eine Rolle.
Als ich die Geschichte hörte war ich entsetzt und schließlich wütend. Aber wütend auf was? Auf meine Hilflosigkeit, auf die Situation, auf alles? Ich weiß es nicht, ehrlich.
Die heutige Aufgabe für euch:
Was macht uns wütend und aggressiv?
Lasst eure Gedanken einfach heraus. Es können aber auch wütende Eigenschaften eurer Figuren sein, die ihr schildert, oder Situationen, in denen eure Figuren wütend oder aggressiv werden.
Wie geht ihr mit Wut und Aggressionen um?
Auf eure Antworten bin ich wie immer sehr gespannt.
Viel Spaß mit der Aufgabe.
Eure Kathrin
Hi Kathrin,
mein Verständnis für die Situation hast du. Ich glaube ich wäre genau so hilflos. Was hast du der Mutter geraten? Wie ging es weiter? Auch wenn du ein Schweigegelübde abgelegt hast, könntest du uns vielleicht informieren?
Was macht mich wütend? Nun – ich muss jeden Morgen an einem Supermarkt vorbei gehen, meine Bushaltestelle ist genau gegenüber und ich sehe dort bereits am frühen Morgen Gestalten herumlungern. Gestalten, die mir Sorgen bereiten, die möglicherweise unsere Gesellschaft widerspiegeln. Und wenn ich dann meine Gehaltsabrechnung sehe, frage ich mich, warum ich fast 50% Sozialabgaben zahlen muss! Warum, ich gehe jeden Tag arbeiten, wird mein Erspartes für meinen Lebensabend reichen, denn Rente wird es wohl nicht mehr geben.
So etwas ärgert mich – mindestens einmal im Monat, aber regelmäßig morgens, wenn ich diese (entschuldige meinen Ausdruck) „versoffenen“ Gestalten sehe.
Liebe Grüße
Thomas
Guten Abend Thomas, na das war doch einmal eine schnelle Antwort auf unsere Wochenaufgabe, ich glaube damit hälst du den Rekord. Hast du dir schon einmal überlegt, wie es wäre, wenn es nur 20% Sozialabgaben wären? – Keine Sorge – ich kann es eh nicht beeinflussen, und mehr Gehalt auf meinem Konto würde auch mich erfreuen. Doch es gibt viele Menschen, die ohne eigene Schuld in Situationen geraten, welche sie abhängig von der Hilfe des Staates machen.
Es gibt auch sehr viele, die unseren Sozialstaat ausnutzen, da stimme ich dir zu, aber es gibt aktuell keine sinnvollen und hilfreichen Lösungen. Diese Situation macht mich auch irgendwie wütend.
Was mich richtig wütend macht sind die Bankmanager, die die letzte Bankenkrise ausgelöst haben, aber völlig ungeschoren davon kommen. Das Tragische sind die vielen privaten Investoren und Aktienkäufer, deren Geld einfach pfutsch ist, keinerlei Entschuldigung bekommen und vom Staat einfach ignoriert werden. Das macht mich wütend!
Viele Grüße
Irina
Hallo ihr beiden.
Ich verstehe sehr gut, wie es euch geht, warum euch das stört ABER – ich denke das ist eine Aufgabe, in dem wir einen (epischen) Text verfassen sollen und nicht einfach unsere Meinung dazu äußern. Würd mich drüber freuen auch einmal etwas von euch zu lesen!
Grüße,
Sanda
Hallo Sanda,
ja du hast recht, ein epischer Text wäre hier angebracht.
Was macht meinen Helden wütend? Nun zu meinem Helden ganz kurz. Professor Leknud hat sich den dunklen Mächten verschrieben. Die Macht über die Welt reizt ihn. Aber was macht ihn nun wütend? Ganz ehrlich, ich glaube, dass ihn am meisten das Glück und die Liebe der anderen ärgert. Und dagegen will er vorgehen. Professor Leknud steht Tag und Nacht in seinem Labor und experimentiert mit allen möglichen Materialien. Doch es will einfach kein Mittel gegen diese vermaledeite Liebe oder gegen das unglaubliche Glück entstehen. Bis er eines Tages eine Locke der blonden Sophia in den Händen hält, welche nicht nur seine Haut streichelt, sondern auch seine Seele. Sein kaltes Herz wird weich und von Liebe erfüllt.
Einen schönen Abend
Irina
Hallo,
ich denke, dass es hier bei dieser Aufgabe nicht schlimm ist, wenn man auch einfach einmal nur das schreibt, was einen selbst bewegt. Meiner Meinung nach beinhaltet nämlich jede Figur, die man entstehen lässt, auch immer einen gewissen Teil von sich selbst, und wenn es nur unterbewusst ist. Sie ist so, wie man selbst gern wäre, sie lebt Phantasien aus, die man hat, sie reagiert so, wie man selbst es gern tun würde, sich aber nicht traut oder sie beinhaltet all die negativen Eigenschaften, die man an sich selbst nicht mag oder die man prinzipiell hasst.
Wie seht ihr das?
Ich persönlich macht es beispielsweise wütend oder aggressiv, wenn ich Ungerechtigkeiten und fehlende Chancengleichheit sehe, gegen die ich aber nichts tun kann, weil ich einfach ein zu kleines Rädchen im System bin. Insbesondere heute sind einige Menschen immer noch gleicher als andere, und tragen dies ganz bewusst zur Schau.
Was macht mich noch wütend? Eigentlich das gleiche, was Thomas genannt hat, wobei ich das Ganze auch noch etwas überspitzen möchte: Mich machen auch die Menschen wütend, die der Meinung sind, aus was für Gründen auch immer nicht arbeiten gehen zu können und Renten beziehen, sich aber auf der anderen Seite ebenfalls 6 oder 8 Stunden täglich anderweitig beschäftigen, an ihrem Haus werkeln oder in den Urlaub fahren.
Eigentlich könnte ich diese Liste hier noch beliebig fortsetzten, angefangen bei der Oberflächlichkeit und Einstellung bestimmter Menschen bis hin zu den überhöhten Spritpreisen, aber ich glaube, ich habe hier schon genügend Zwietracht gesät … .
Deshalb sollte ich abschließend vielleicht unbedingt noch sagen, dass ich nicht der Meinung bin, dass diese Aussagen pauschal gelten sollten, ganz im Gegenteil! Aber sie treten nun einmal auf.
Viele Grüße
Nicole
P.S.: Ich werde natürlich auch noch versuchen, eine Figur sprechen zu lassen. 😉
Nein, Nicole, es ist nicht schlimm diese Diskussion weiter zu denken, und du beteiligst dich ja eigentlich erst mit einem Beitrag dazu. Deswegen würde ich nicht von „Anheizen“ sprechen.
Ungerechtigkeiten und die eigene Hilflosigkeit sind auch für mich Anlass zu wütenden Gedanken.
Aber worauf reagieren meine Figuren mit Wut? Nun das ist wirklich davon abhängig, wie der Charakter und die Vorgeschichte meiner Figuren ist.
Auch ob jemand schnell gereizt ist, oder über gute Abwehrmechanismen oder eine gute Kinderstube verfügt.
Hat sich eine Figur nicht im Griff, dann kommt es viel eher zu einem Eklat. Das kann die Geschichte spannend machen, aber auch auf Dauer für den Leser sehr anstrengend sein.
Auf der anderen Seite steht der ruhige und ausgeglichene Protagonist, der in aller Seelenruhe erst einmal einen Tee trinkt und über alles nachdenkt. Auch das kann amüsant sein, gerade wenn die Spannung steigt und die Figur cool bleibt. Doch hier ist ebenfalls die Gefahr der Lethargie, der Ermüdung. Der Leser sitzt auf glühenden Kohlen und möchte den Helden am liebsten wachrütteln, sich doch endlich zu wehren und die Gemeinheiten nicht länger hinzunehmen.
Was die Figur letztlich zum Ausrasten bringt ist nicht nur vom Gemüt sondern auch den Umständen abhängig. Hier darf die Kreativität auf das leere Papier losgelassen werden.
Liebe Grüße
Irina