Um bei dem Thema Figuren zu bleiben heute eine sehr spannende und vielleicht auch lustige Übung.
Stellen Sie sich eine Figur des öffentlichen Lebens vor, und nun schildern sie aus deren Sicht, wie sie zum Joggen geht.
Diese Person steht also vor dem Schrank, was kann sie anziehen, hat sie überhaupt Laufsachen?
Dann geht ihre Figur auf die Joggingstrecke.
Ist er oder sie fit oder etwa untrainiert?
Warum läuft sie heute, läuft sie sonst auch?
Wen trifft sie beim Laufen, was könnte passieren?
Ich freue mich schon auf Ihre Antworten.
Hier mein Text:
Alle sagen, dass es mir gut tun würde. Mensch und jetzt habe ich mich aufgerafft. Schicke Sportsachen habe ich mir bestellt. Die sind gestern mit der Post gekommen, und sie passen. Darin sehe ich wirklich richtig sportlich aus, auch wenn es nur so aussieht. Doch jetzt werde ich einfach die Haustür öffnen und loslaufen.
Die Luft ist herrlich, es duftet nach gemähtem Gras und der Nachbar steht einmal wieder an seinem Auto mit der Nase am Motor. Er erkennt mich nicht einmal, als ich langsam an ihm vorbei komme.
Die ersten Schritte sind ziemlich anstrengend und an der Ampel freue ich mich über das Rot für Fussgänger. Und noch während ich nach Luft japse, stellt sich jemand neben mich und grüßt. Hm, ich schaue zur Seite, kenn ich den? Nein, aber ich bekomme ein nettes Augenzwinkern.
Es wird Grün und ich sprinte los. Die Strasse ist gar nicht so breit, aber ich bin schon auf der anderen Seite angekommen und ausser Puste. Der Typ klebt mir an den Fersen, das kann ich im Augenwinkel sehen. Entsetzt merke ich, dass er ebenfalls Laufsachen trägt. „Na, wollen wir ein Stück zusammen laufen?“ Geht die Frage an mich? Offensichtlich spricht der Typ mich an. Was soll ich jetzt machen? Die Straße geht jetzt ohne Abzweigung mindestens zwei Kilometer am Fluss entlang. Das würde ich nicht ohne peinliche Schwäche und Stehenbleiben durchhalten. Was soll ich nur machen?
Da kommt mir ein Einfall. Ich simuliere eine Stolpern, was mir in meinem müden und geschwächten Zustand sehr überzeugend gelingt. Sofort ist mein Möchtegernbegleiter zur Stelle. Doch sein Hilfsangebot lehne ich dankend ab. „Laufen sie ruhig weiter, es geht schon.“ gebe ich gespielt gequält zurück. Doch der Typ lässt einfach nicht locker. Er hilft mir auf und will sich meinen Knöchel ansehen. Aber das kann ich nicht zulassen und ziehe mein Hosenbein straff. Ich versuche ein paar Schritte zu gehen und humple sehr überzeugend. „Sie haben sich bestimmt die Bänder überdehnt, soll ich Sie wirklich nicht nach Hause begleiten?“ Um Gottes Willen, bloß nicht. „Nein, danke, ich glaube es geht schon wieder.“ Schulterzuckend dreht er sich um. Ich schicke ein Dankgebet in den Himmel und freue mich schon auf eine heisse Dusche. Vorsichtig humpele ich zur Kreuzung zurück. Zu Hause angekommen bin ich total durchgeschwitzt und froh, dass ich meine erste Runde überstanden habe. Ob ich das jemals wieder mache?
Gut, es ist keine Person des öffentlichen Lebens, es könnte jeder sein. Zuerst hatte ich Mr. Bean als Person geplant, aber so richtig witziges ist mir nicht eingefallen.
Wer kann es von euch?
Hey Kathrin, ich mag deine Joggerin. Die Idee mit dem Stolpern finde ich gut. Ok Mr. Bean hätte ich jetzt nicht gewählt und traue es mir auch nicht zu, dafür bin ich nicht komisch genug. Was mag wohl der andere Jogger denken?
Liebe Grüße Irina
Ich hab‘ mich auch mal versucht …
Christine N. joggt
„Ich muss doch total bescheuert sein! Wie konnte ich mich nur auf solchen Schwachsinn einlassen?“
Missmutig stand Christine vom Schlafzimmerspiegel und betrachtete sich in ihrem neuen, hippen Jogging-Outfit, bestehend aus weißen Plateauturnschuhen, dunkelrosa Jogginghose samt Pullover mit jeweils weißen Bündchen und passendem Kragen.
„Ich sehe aus wie ein Miss-Piggy-farbener Lutschbonbon, den man oben und unten aufdrehen muss!“
„Miss-Piggy-farben ist einen Tatsch heller, Mama. Du trägst das absolut fashion-taugliche bordeaux-rosa der neuen Saison.“
Christine blickte nach links zur Tür, in der ihre beiden Kinder im Türrahmen lehnten und sie breit angrinsten.
„Ja, genau Mama! Und vergiss bloß nicht das super endgeile LED-Leuchtstirnband, das es gratis dazu gab!“
„Ihr …“ weiter kam Christine nicht, denn als ihre Kinder sahen, dass sie gerade mit diesem Stirnband ausholte, waren sie schon prustend die Treppe herunter gerannt.
„Ich muss wirklich total bekloppt sein“ wiederholte Christine nochmals, als sie sich ebenfalls auf den Weg nach unten machte. Bereits jetzt knurrte ihr Magen verdächtig, was ihre Laune alles andere als hob. Sie hatte definitiv Hunger! Aber sie war ja selbst daran Schuld, Kohldampf zu schieben. Schließlich hatte sie sich zu diesem blödsinnigen Trainingsprogramm im Sinne des Erfolgs überreden lassen. Welch ein Schwachsinn! Verärgert über sich selbst und immer noch hungrig, schlug Christine den Weg durch den Park ein und entdeckte Dinge, denen sie sonst nie Beachtung schenkte: Schulkinder, die Ihre Brote tauschten, andere quer- und längsgestreifte Jogger, die wie dürre Zuckerstangen aussahen, den Brätzelverkäufer, der gerade alles auspackte oder den Crêpes-Stand-Besitzer, der gerade das Eisen anheizte. Gott, musste denn jeder, den sie sah, etwas mit Essen zu tun haben?!? Und sie hatte noch nicht einmal eine Tasche für Kleingeld in diesem auch so trendy Trainingsoutfit! Was für eine Verschwendung!
Doch damit war jetzt Schluss! Mit diesem ganzen Theater war jetzt Schluss! Kurzentschlossen legte Christine einen Zahn zu und rannte querfeldein durch den Park, in Richtung Bürotower ihres Agenten. Dort angekommen gönnte sie an der Snackbar in der Aula erst einmal ein doppelt belegtes Schinkenbaguette und einen großen Kakao. Natürlich auf Toms Rechnung. Schließlich hatte ihr Anzug ja keine Taschen, wie sie gerade vorhin hatte deprimiert feststellen müssen. Nachdem Christine nun mit Ihrem Baguette zur Hälfte fertig war, öffneten sich die Fahrstuhltüren und ein euphorischer Tom kam auf sie zugestürmt.
„Christine! Anja hat mir erzählt, dass Du gerade hereingejoggt bist. Klasse! Und Du hast Dir ja auch den super bordeaux-rosa Delux-Jobbinganzug gekauft! Wirklich ganz toll! Aber Du hast das LED-Stirnband vergessen. Das musst Du beim nächsten Mal unbedingt mitbringen!“
„Oh, und wie ich Dir das mitbringen werde! Zusammen verschnürt mit diesen ganzen anderen, ach so tollen Trainings- und Fitnesssachen, die Du dann komplett einem Deiner anderen Schützlinge auf’s Auge drücken kannst, aber nicht mehr mir!“
„Ja, aber Du wolltest doch im Sinne Deiner Karriere … .“
„Ja, aber mittlerweile bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ich für meine Karriere nichts an mir verändern muss. Entweder, Du arbeitest mit mir so, wie ich bin, oder ich muss mir einen anderen Agenten suchen.“
„Ja, aber … .“
Christine drückte dem verdutzten Tom ihren leeren Kakaobecher in die Hand und joggte leichten Fußes Richtung Ausgang. Dort angekommen, drehte sie sich noch einmal um:
„Ach ja, Du musst meine Rechnung an der Snackbar noch bezahlen. Miss-Piggy hat leider keine Taschen.“
Liebe Nicole,
bei deinem Text habe ich mich richtig amüsiert, und ich hatte ein ganz scharfes Bild der Figuren. Sehr schön dein Text. Und der Dialog ist dir auch gut gelungen.
Liebe Grüße
Irina